Brave Familienväter können Kriegsverbrecher werden

Es braucht nicht viel, um aus braven Familienvätern und aufrechten Soldaten Bestien zu machen, denen ihr mörderisches Tun noch nicht einmal ein schlechtes Gewissen bereitet, meint der deutsche Sozialpsychologe Harald Welzer. Zwischen zwei Menschengruppen müsse nur eine radikale Trennung konstruiert werden, schon fallen die moralischen Schranken. Sind die anderen keine Menschen mehr, fällt die Vernichtung leichter, eine angebliche Bedrohungssituation liefert die Rechtfertigung.

"Immer gibt es eine genügende Anzahl von Menschen, die sich für das Töten entscheiden", lautet Welzers Befund. Und die hätten auch wenig Probleme, ihre Taten in ein ganz normales Leben zu integrieren. "Ich bin nicht der Unmensch, zu dem man mich macht. Ich bin das Opfer eines Fehlschlusses", hat Adolf Eichmann gesagt.

Trennte man "Arier" und "Juden", war der Weg freigemacht
Das klassische, erschreckendste Beispiel war die Unterscheidung in "Arier" auf der einen Seite und "Juden" auf der anderen. Der von den Nazis betriebene industrielle Massenmord an sechs Millionen Menschen nimmt den Hauptteil der Betrachtungen in seinem Buch ein, die Welzer mit kurzen Kapiteln über Vietnam, Ruanda und Jugoslawien ergänzt. "1933 hätten die Menschen in Berlin eine Deportation nicht akzeptiert, weil es maximal von dem abweicht, was erwartbar gewesen wäre", sagt Welzer. "1941 sehen die gleichen Menschen das als völlig normal an - und halten sich dabei selbst für genauso gute Menschen wie 1933."

Für die Schergen werde das Morden schnell zu einer "Arbeit" wie jede andere auch, sagt der Psychologe. Eine individuelle Verantwortlichkeit sähen sie bei sich nicht, selbst den häufig bemühten Befehlsnotstand habe es im "Dritten Reich" nicht gegeben. "In Situationen, die zu hoher Verunsicherung führen, orientieren sich alle am nächsten. Deshalb schaut auch jeder weg." Psychologische Auffälligkeiten finden sich bei den Ausführenden so wenig wie bei der Führungs-Clique der Nazis: Das Böse ist banal und steckt in uns allen.

"In Srebrenica hielten viele Morden für 'soldatische Pflicht'"
"Viele haben sich in Srebrenica etwas zurechtgelegt wie 'das war meine soldatische Pflicht' und 'ich muss meine Befehle umsetzen'", meint die Münchner Historikerin Marie-Janine Calic. "Bei einigen kam das Gefühl hinzu, dass man die, die dort erschossen werden sollen, gar nicht als eine Art 'Untermenschen' betrachtet hat." Propaganda habe das multiethnische Zusammenleben zerstört und den Boden für spätere Kriegsverbrechen bereitet. "Prävention heißt, Vorurteile abzubauen, die Vergangenenheit aufzuarbeiten und soziale Sicherheit zu gewähren."

Das Massaker von Srebrenica ist das schwerste Kriegsverbrechen in Europa seit dem Zweiten Weltkrieg. Am 11. Juli 1995 eroberten bosnisch-serbische Truppen die von Muslimen bewohnte Stadt, obwohl sie UN-Schutzzone war. Kampflos überließ ein kleines Kontingent niederländischer Blauhelme den 2000 gut ausgerüsteten Angreifern unter General Ratko Mladic die Stadt. 8000 überwiegend männliche Muslime wurden abgeführt, die meisten erschossen und in Massengräbern verscharrt. Frauen und Kinder wurden deportiert.

Der im Juli an das UN-Kriegsverbrechertribunal in Den Haag überstellte frühere politische Führer der bosnischen Serben, Radovan Karadzic, gilt neben Mladic als Hauptverantwortlicher für die blutigste Gräueltat im Bosnien-Krieg. Das UN-Kriegsverbrechertribunal in Den Haag und der Internationale Gerichtshof haben das Massaker in Srebrenica als Völkermord eingestuft. Es gibt bislang aber erst ein rechtskräftiges Urteil wegen Beihilfe zum Völkermord: Radislav Krstic, ehemaliger Kommandeur des Drina-Korps, das maßgeblich an der Eroberung der Stadt beteiligt war, wurde in Den Haag zu 35 Jahren Haft verurteilt.

NANO 3SAT<
la-mamma - 16. Apr, 18:05

ein für mich ausgesprochen lesenswertes buch,

das da wohl auch gut dazu passt:
"die farbe des krieges" von arkadi babtschenko. falls du das noch nicht kennst.

oelwaechselkurs - 16. Apr, 21:31

hallo lamamma,

meinst du orlando?

die farrbe des krieges kenne ich nicht.
lg öwk
la-mamma - 17. Apr, 16:08

nein, hat mit orlando nix zu tun,

geht um den tschetschenienkrieg.
bonanzaMARGOT - 17. Apr, 14:06

die lust an der gewalt ist bereits im gehirn durch die ausschüttung von dopamin angelegt, was auch in frühzeitlichen epochen sinn machte, wo mensch natürlicherweise sehr oft um sein überleben kämpfen musste.
kulturelle aspekte, sozialisation und erziehung dämpfen normalerweise vernunftgemäß diese lust an der gewalt.
allerdings nicht bei kleinkindern und auch nicht bei hornochsen reiferen alters, welche leicht zu manipulieren sind, so dass sie die kulturelle "moralschranke" z.b. durch feindbilder und das herstellen einer klassengesellschaft (mit menschen unterschiedlicher wertigkeit) umgehen.
wenn wir unsere mitmenschen zu derselben bedrohung hochstilisieren wie in der frühzeit die bedrohung durch gefährliche raubtiere, dann ist ziemlich logisch, dass sich mensch demgemäß gewalttätig und (relativ) skrupellos verhält.

wie wir ja auch an der großen präsenz von gewalt in den medien sehen können, gibt es durchaus das sich berauschen an gewaltakten; wie es das sich berauschen an drogen und sexualität gibt - in allen fällen wird dopamin als belohnung (droge) im hirn ausgeschüttet.

oelwaechselkurs - 17. Apr, 20:33

la mamma,

du meinst dieses buch. s.o. oki!
lg öwk

Treibgut - 17. Apr, 21:11

Kriegsverbrechen

Also ich glaube ja eher nicht an diese ganzen psychologischen Erklärungsversuche. Ich denke, einige Überzeugungstäter haben die Ziele und Befehle gesetzt und die Masse hat nur ausgeführt oder weggeguckt, ohne davon überzeugt sein zu müssen. Anders mögen die Ursachen zu beurteilen sein, wenn die Kriegsverbrecher selbst vorher indirekt Opfer von Gewalt geworden sind, indem etwa Freunde, Bekannte, Verwandte Opfer von Gewalt wurden.

Aurisa - 17. Apr, 21:23

Bist du blauäugig oder braunäugig:
http://psychologie.suite101.de/article.cfm/experiment_mit_blauen_augen
Das ist ein Experiment zur Spaltung der Gesellschaft in zwei Gruppen.
Viele Grüße
Aurisa

bonanzaMARGOT - 18. Apr, 13:25

vorbehalte und vorurteile lassen sich sehr leicht in menschen einpflanzen. es scheint mir, als wäre der mensch gerade dazu prädestiniert, die dümmsten vorurteile zu übernehmen, um dann seine aggressionen an dem objekt des feindbildes abzulassen.
ich erinnere mich noch gut, als alle südländischen plus zigeuner, polen und schwarze für die generation meiner eltern von vorneherein dreckig, verlogen und diebesgesindel waren.
ich brauche bloß ein bißchen gut hinhören, wenn ich was über vorurteile und rassismus wissen will. die psychologischen tests sagen doch bloß, dass alle menschen nunmal solche arschlöcher sind.
besonders scheiße finde ich, wenn ich mich z.b. mit ausländern anfreunde, die teil dieser vorurteile und ausgrenzung sind, und nach kurzer zeit merke ich, dass die genauso ihre vorurteile und ihren rassismus haben.
das erinnert mich an das mitleid, das man evtl. mit dem fisch hat, der vom adler gefressen wird - aber der fisch frißt seinerseits wieder kreaturen etc. etc.
man sollte sich hinsichtlich der menschlichen natur besser nichts vormachen.
Nante - 19. Apr, 07:22

Wir wissen,

dass Strafe NICHT der Abschreckung dient.
So gesehen sind all die Eichmann - Mladic usw-Prozesses wegen Genozid " für die Katz" ... sie machen ihre Opfer nicht wieder lebendig und bestrafen nur das individuelle Fehlverhalten - na wenigstens etwas!

Trotzdem sind solche Prozesse nötig, weil sie so im Nachhinein das Gewissen der Menschheit beruhigen .

Da ich keine Psychologin bin, weiß ich nicht viel über das Aggressionspotential des Menschen im Alltag, kann aber sehr wohl erkennen, dass es agressivere und weniger aggressive gibt, welche, die zur Selbstagression neigen - andere eher zur Fremdagression ...
Ich hütete mich, ein pauschalierendes Urteil abzugeben oder Prognosen für größere Menschengruppen zu stellen.

bonanzaMARGOT - 19. Apr, 07:51

Bei mir verhält es sich anders herum, Nante: über das Verhalten größerer Menschengruppen erlaube ich mir leichter ein Urteil als über das Verhalten eines einzelnen. Bei vielen Menschen zeichnet sich statistisch eine Tendenz ab.
Nante - 19. Apr, 15:18

bon

zu:
"bonanzaMARGOT - 19. Apr, 07:51
Bei mir verhält es sich anders herum, Nante: über das Verhalten größerer Menschengruppen erlaube ich mir leichter ein Urteil als über das Verhalten eines einzelnen. Bei vielen Menschen zeichnet sich statistisch eine Tendenz ab."
***********
ich erlaube mir gar keine Prognosen oder gültige Urteile zu stellen .... ich kann allerdings im realen Leben aggressivere und weniger aggressive Menschen beobachten ...

und Spaß ohne: ich gehöre ( Selbstreferenz) eher zu letzteren ....

bonanzaMARGOT - 19. Apr, 15:27

Woran, liebe Nante, machst du denn das mehr oder weniger aggressive verhalten eines Menschen fest?
Woher die Empirie dazu?
bonanzaMARGOT - 21. Apr, 15:55

kannst du außerdem aggression immer gemäß der verschiedenen charaktereigenschaften, des verschiedenen temperaments, der unterschiedlichen kultur heraus-filtrieren?????

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