gelesenes

Freitag, 26. Juni 2009

Bachmann Preis die zweite

Eine österreichische Autorin mit dem passenden Namen Stift liest ihren Text, welcher sich mit Flucht auseinandersetzt, vor. Die Jury ist nicht sehr begeistert. Als sehr unpräzisse wird der Text beschrieben-Wirtschaftsflüchtling oder nicht....

Der gestrige "Vorleser" Weiss ass gestern sein Manuskript, heute meinte die Moderatorin, dass sich die LeserInnen etwas sehr ausgefallenes einfallen lassen müssen, da Jackson starb. Er war ein Ausnahmekünstler, aber leider stand er über dem Gesetz.

Eine Personalmitarbeiterin, der große Lebensmittelkonzern schlechthin, rief mich an, sie haben mom. nur Ganztagsstellen, ich soll mich melden wenn ich mit meinem Studium fertig bin, sie suchen immer wieder Biologen. Was dort eine Biologin arbeitet, kann ich mir nicht vorstellen.

Donnerstag, 25. Juni 2009

Bachmann Preis

Den ersten Autor versäumte ich leider. Derzeit liest ein Wiener, er heißt Phillipp Weiss. Das Werk beginnt er mit Textverfassungen, schreiben, durchstreichen, mit der rechten Hand, mit der linken und mit beiden Händen. Er landet in einer Notaufnahme und er beschreibt seine Beziehung zu einer Frau, namens Simone. Soweit ich , nachdem mein Handy läutete, den Text richtig verfolgt habe, beschreibt er den Zustand des Schreibens. Sein Werk ist geprägt von Wiederholungen (aber nicht so gut gelungen wie Bernhard).

Der nächste "Vorleser", Karsten Krampitz trägt seinen Text leicht nervös aber sehr humorvoll vor. Ein Mann in der Kirche ließ zu Pfingsten eine Taube fliegen und nahm ein anderes Mal ein Telefon zum Gottesdienst mit, RUF MICH AN, lautet eine Stelle im "Heiligen Buch".

Ich bin schon auf die Reaktionen der Jury gespannt.

Samstag, 20. Juni 2009

Wolfgang Borchert: Jesus macht nicht mehr mit

Er lag unbequem in dem flachen Grab. Es war wie immer reichlich kurz geworden, so dass er die Knie krumm machen musste. Er fühlte die eisige Kälte im Rücken. Er fühlte sie wie einen kleinen Tod. Er fand, dass der Himmel sehr weit weg war. So grauenhaft weit weg, dass man gar nicht mehr sagen mochte, er ist gut oder er ist schön. Sein Abstand von der Erde war grauenhaft. All das Blau, das er aufwandte, machte den Abstand nicht geringer. Und die Erde war so unirdisch kalt und störrisch in ihrer eisigen Erstarrung, dass man sehr unbequem in dem viel zu flachen Grab lag. Sollte man das ganze Leben so unbequem liegen? Ach nein, den ganzen Tod hindurch sogar! Das war ja noch viel länger.

Zwei Köpfe erschienen am Himmel über dem Grabrand. Na, passt es, Jesus? fragte der eine Kopf, wobei er einen weißen Nebelballen wie einen Wattebausch aus dem Mund fahren ließ. Jesus stieß aus seinen beiden Nasenlöchern zwei dünne ebenso weiße Nebelsäulen und antwortete: Jawoll. Passt.

Die Köpfe am Himmel verschwanden. Wie Kleckse waren sie plötzlich weggewischt. Spurlos. Nur der Himmel war noch da mit seinem grauenhaften Abstand.

Jesus setzte sich auf und sein Oberkörper ragte etwas aus dem Grab heraus. Von weitem sah es aus, als sei er bis an den Bauch eingegraben. Dann stützte er seinen linken Arm auf die Grabkante und stand auf. Er stand in dem Grab und sah traurig auf seine linke Hand. Beim Aufstehen war der frischgestopfte Handschuh am Mittelfinger wieder aufgerissen. Die rotgefrorene Fingerspitze kam daraus hervor. Jesus sah auf seinen Handschuh und wurde sehr traurig. Er stand in dem viel zu flachen Grab, hauchte einen warmen Nebel gegen seinen entblößten frierenden Finger und sagte leise: Ich mach nicht mehr mit. Was ist los, glotzte der eine von den beiden, die in das Grab sahen, ihn an. Ich mach nicht mehr mit, sagte Jesus noch einmal ebenso leise und steckte den kalten nackten Mittelfinger in den Mund. Haben Sie gehört, Unteroffizier, Jesus macht nicht mehr mit.

Der andere, der Unteroffizier, zählte die Sprengkörper in eine Munitionskiste und knurrte: Wieso? Er blies den nassen Nebel aus seinem Mund auf Jesus zu: Hä, wieso? Nein, sagte Jesus noch immer ebenso leise, ich kann das nicht mehr. Er stand in dem Grab und hatte die Augen zu. Die Sonne machte den Schnee so unerträglich weiß. Er hatte die Augen zu und sagte: Jeden Tag die Gräber aussprengen. Jeden Tag sieben oder acht Gräber. Gestern sogar elf. Und jeden Tag die Leute da reingeklemmt in die Gräber, die ihnen immer nicht passen. Weil die Gräber zu klein sind. Und die Leute sind manchmal so steif und krumm gefroren. Das knirscht dann so, wenn sie in die engen Gräber geklemmt werden. Und die Erde ist so hart und eisig und unbequem. Das sollen sie den ganzen Tod lang aushalten. Und ich, ich kann das Knirschen nicht mehr hören. Das ist ja, als wenn Glas zermahlen wird. Wie Glas.

Halt das Maul, Jesus. Los, raus aus dem Loch. Wir müssen noch fünf Gräber machen. Wütend flatterte der Nebel vom Mund des Unteroffiziers weg auf Jesus zu. Nein, sagte der und stieß zwei feine Nebelstriche aus der Nase, nein. Er sprach sehr leise und hatte die Augen zu: Die Gräber sind doch auch viel zu flach. Im Frühling kommen nachher überall die Knochen aus der Erde. Wenn es taut. Überall die Knochen. Nein, ich will das nicht mehr. Nein, nein. Und immer ich. Immer soll ich mich in das Grab legen, ob es passt. Immer ich. Allmählich träume ich davon. Das ist mir grässlich, wisst ihr, dass ich das immer bin, der die Gräber ausprobieren soll. Immer ich. Immer ich. Nachher träumt man noch davon. Mir ist das grässlich, dass ich immer in die Gräber steigen soll. Immer ich.

Jesus sah noch einmal auf seinen zerrissenen Handschuh. Er kletterte aus dem flachen Grab heraus und ging vier Schritte auf einen dunklen Haufen los. Der Haufen bestand aus toten Menschen. Die waren so verrenkt, als wären sie in einem wüsten Tanz überrascht worden. Jesus legte seine Spitzhacke leise und vorsichtig neben den Haufen von toten Menschen. Er hätte die Spitzhacke auch hinwerfen können, der Spitzhacke hätte das nicht geschadet. Aber er legte sie leise und vorsichtig hin, als wollte er keinen stören oder aufwecken. Um Gottes willen keinen wecken. Nicht nur aus Rücksicht, aus Angst auch. Aus Angst. Um Gottes willen keinen wecken. Dann ging er, ohne auf die beiden anderen zu achten, an ihnen vorbei durch den knirschenden Schnee auf das Dorf zu.

Widerlich, der Schnee knirscht genau so, so ganz genau so. Er hob die Füße und stelzte wie ein Vogel durch den Schnee, nur um das Knirschen zu vermeiden.

Hinter ihm schrie der Unteroffizier: Jesus! Sie kehren sofort um! Ich gebe Ihnen den Befehl! Sie haben sofort weiterzuarbeiten! Der Unteroffizier schrie, aber Jesus sah sich nicht um. Er stelzte wie ein Vogel durch den Schnee, wie ein Vogel, nur um das Knirschen zu vermeiden. Der Unteroffizier schrie - aber Jesus sah sich nicht um. Nur seine Hände machten eine Bewegung, als sagte er: Leise, leise! Um Gottes willen keinen wecken! Ich will das nicht mehr. Nein. Nein. Immer ich. Immer ich. Er wurde immer kleiner, kleiner, bis er hinter einer Schneewehe verschwand.

Ich muss ihn melden. Der Unteroffizier machte einen feuchten wattigen Nebelballen in die eisige Luft. Melden muss ich ihn, das ist klar. Das ist Dienstverweigerung. Wir wissen ja, dass er einen weg hat, aber melden muss ich ihn.

Und was machen sie dann mit ihm? grinste der andere.

Nichts weiter. Gar nichts weiter. Der Unteroffizier schrieb sich einen Namen in sein Notizbuch. Nichts. Der Alte lässt ihn vorführen. Der Alte hat immer seinen Spaß an Jesus. Dann brüllt er ihn zusammen, dass er zwei Tage nichts isst und redet, und lässt ihn laufen. Dann ist er wieder ganz normal für eine Zeitlang. Aber melden muss ich ihn erstmal. Schon weil der Alte seinen Spaß dran hat. Und die Gräber müssen doch gemacht werden. Einer muss doch rein, ob es passt. Das hilft doch nichts.

Warum heißt er eigentlich Jesus, grinste der andere.

Oh, das hat weiter keinen Grund. Der Alte nennt ihn immer so, weil er so sanft aussieht. Der Alte findet, er sieht so sanft aus. Seitdem heißt er Jesus. Ja, sagte der Unteroffizier und machte eine neue Sprengladung fertig für das nächste Grab, melden muss ich ihn, das muss ich, denn die Gräber müssen ja sein.

Freitag, 19. Juni 2009

Wolfgang Borchert: Nachts schlafen die Ratten doch

Das hohle Fenster in der vereinsamten Mauer gähnte blaurot voll früher Abendsonne. Staubgewölke flimmerte zwischen den steilgereckten Schornsteinresten. Die Schuttwüste döste.

Er hatte die Augen zu. Mit einmal wurde es noch dunkler. Er merkte, dass jemand gekommen war und nun vor ihm stand, dunkel, leise. Jetzt haben sie mich! dachte er. Aber als er ein bisschen blinzelte, sah er nur zwei etwas ärmlich behoste Beine. Die standen ziemlich krumm vor ihm, dass er zwischen ihnen hindurchsehen konnte. Er riskierte ein kleines Geblinzel an den Hosenbeinen hoch und erkannte einen älteren Mann. Der hatte ein Messer und einen Korb in der Hand. Und etwas Erde an den Fingerspitzen.
Du schläfst hier wohl was? fragte der Mann und sah von oben auf das Haargestrüpp herunter. Jürgen blinzelte zwischen den Beinen des Mannes hindurch in die Sonne und sagte: Nein, ich schlafe nicht. Ich muss hier aufpassen. Der Mann nickte: So, dafür hast du wohl den großen Stock da?
Ja, antwortete Jürgen mutig und hielt den Stock fest.
Worauf passt du denn auf?
Das kann ich nicht sagen. Er hielt die Hände fest um den Stock. Wohl auf Geld, was? Der Mann setzte den Korb ab und wischte das Messer an seinem Hosenboden hin und her. Nein, auf Geld überhaupt nicht, sagte Jürgen verächtlich. Auf ganz etwas anderes.
Na, was denn?
Ich kann es nicht sagen. Was anderes eben.
Na, denn nicht. Dann sage ich dir natürlich auch nicht, was ich hier im Korb habe. Der Mann stieß mit dem Fuß an den Korb und klappte das Messer zu.
Pah, kann ich mir denken, was in dem Korb ist, meinte Jürgen geringschätzig, Kaninchenfutter.
Donnerwetter, ja! sagte der Mann verwundert, bist ja ein fixer Kerl. Wie alt bist du denn?
Neun.
Oha, denk mal an, neun also. Dann weißt du ja auch, wieviel drei mal neun sind, wie?
Klar, sagte Jürgen und um Zeit zu gewinnen, sagte er noch: Das ist ja ganz leicht. Und er sah durch die Beine des Mannes hindurch. Dreimal neun, nicht? fragte er noch mal, siebenundzwanzig, Das wusste ich gleich.
Stimmt, sagte der Mann, genau soviel Kaninchen habe ich.
Jürgen machte einen runden Mund: Siebenundzwanzig?
Du kannst sie sehen. Viele sind noch ganz jung. Willst du?
Ich kann doch nicht. Ich muss doch aufpassen, sagte Jürgen unsicher.
Immerzu? fragte der Mann, nachts auch?
Nachts auch. Immerzu. Immer. Jürgen sah an den krummen Beinen hoch. Seit Sonnabend schon, flüsterte er.
Aber gehst du denn gar nicht nach Hause? Du musst doch essen.
Jürgen hob einen Stein hoch. Da lag ein halbes Brot. Und eine Blechschachtel.
Du rauchst? fragte der Mann, hast du denn eine Pfeife?
Jürgen faßte seinen Stock fest an und sagte zaghaft: ich drehe. Pfeife mag ich nicht.
Schade, der Mann bückte sich zu seinem Korb, die Kaninchen hättest du ruhig mal ansehen können. Vor allem die jungen. Vielleicht hättest du dir eines ausgesucht. Aber du kannst hier ja nicht weg.
Nein, sagte Jürgen traurig, nein nein.
Der Mann nahm den Korb und richtete sich auf. Na ja, wenn du hierbleiben musst - schade. Und er drehte sich um. Wenn du mich nicht verrätst, sagte Jürgen da schnell, es ist wegen den Ratten.
Die krummen Beine kamen einen Schritt zurück: Wegen den Ratten?
Ja, die essen doch von Toten. Von Menschen. Da leben sie doch von.
Wer sagt das?
Unser Lehrer.
Und du passt nun auf die Ratten auf? fragte der Mann.
Auf die doch nicht! Und dann sagte er ganz leise: Mein Bruder, der liegt nämlich da unten. Da. Jürgen zeigte mit dem Stock auf die zusammengesackten Mauern. Unser Haus kriegte eine Bombe. Mit einmal war das Licht weg im Keller. Und er auch. Wir haben noch gerufen. Er war viel kleiner als ich. Erst vier. Er muss hier ja noch sein. Er ist doch viel kleiner als ich.
Der Mann sah von oben auf das Haargestrüpp. Aber dann sagte er plötzlich: Ja, hat euer Lehrer euch denn nicht gesagt, dass die Ratten nachts schlafen?
Nein, flüsterte Jürgen und sah mit einmal ganz müde aus, das hat er nicht gesagt.
Na, sagte der Mann, das ist aber ein Lehrer, wenn er das nicht mal weiß. Nachts schlafen die Ratten doch. Nachts kannst du ruhig nach Hause gehen. Nachts schlafen sie immer. Wenn es dunkel wird, schon.
Jürgen machte mit seinem Stock kleine Kuhlen in den Schutt. Lauter kleine Betten sind das, dachte er, alles kleine Betten. Da sagte der Mann (und seine krummen Beine waren ganz unruhig dabei): Weißt du was? Jetzt füttere ich schnell meine Kaninchen und wenn es dunkel wird, hole ich dich ab. Vielleicht kann ich eins mitbringen. Ein kleines oder, was meinst du?
Jürgen machte kleine Kuhlen in den Schutt. Lauter kleine Kaninchen. Weiße, graue, weißgraue. Ich weiß nicht, sagte er leise und sah auf die krummen Beine, wenn sie wirklich nachts schlafen.
Der Mann stieg über die Mauerreste weg auf die Straße. Natürlich, sagte er von da, euer Lehrer soll einpacken, wenn er das nicht mal weiß.
Da stand Jürgen auf und fragte: Wenn ich eins kriegen kann?
Ein weißes vielleicht?
Ich will mal versuchen, rief der Mann schon im Weggehen, aber du musst hier solange warten. Ich gehe dann mit dir nach Hause, weißt du? Ich muss deinem Vater doch sagen, wie so ein Kaninchenstall gebaut wird. Denn das müsst ihr ja wissen.
Ja, rief Jürgen, ich warte. Ich muss ja noch aufpassen, bis es dunkel wird. Ich warte bestimmt. Und er rief: Wir haben auch noch Bretter zu Hause. Kistenbretter, rief er.

Aber das hörte der Mann schon nicht mehr. Er lief mit seinen krummen Beinen auf die Sonne zu. Die war schon rot vom Abend und Jürgen konnte sehen, wie sie durch die Beine hindurchschien, so krumm waren sie. Und der Korb schwenkte aufgeregt hin und her. Kaninchenfutter war da drin. Grünes Kaninchenfutter, das war etwas grau vom Schutt.

Donnerstag, 18. Juni 2009

Das Brot - Wolfgang Borchert

Plötzlich wachte sie auf. Es war halb drei. Sie überlegte, warum sie aufgewacht war. Ach so! In der Küche hatte jemand gegen einen Stuhl gestoßen. Sie horchte nach der Küche. Es war still. Es war zu still und als sie mit der Hand über das Bett neben sich fuhr, fand sie es leer. Das war es, was es so besonders still gemacht hatte: sein Atem fehlte. Sie stand auf und tappte durch die dunkle Wohnung zur Küche. In der Küche trafen sie sich. Die Uhr war halb drei. Sie sah etwas Weißes am Küchenschrank stehen. Sie machte Licht. Sie standen sich im Hemd gegenüber. Nachts. Um halb drei. In der Küche.

Auf dem Küchentisch stand der Brotteller. Sie sah, dass er sich Brot abgeschnitten hatte. Das Messer lag noch neben dem Teller. Und auf der Decke lagen Brotkrümel. Wenn sie abends zu Bett gingen, machte sie immer das Tischtuch sauber. Jeden Abend. Aber nun lagen Krümel auf dem Tuch. Und das Messer lag da. Sie fühlte, wie die Kälte der Fliesen langsam an ihr hochkroch. Und sie sah von dem Teller weg.
"Ich dachte, hier wär was", sagte er und sah in der Küche umher.
"Ich habe auch was gehört", antwortete sie und dabei fand sie, dass er nachts im Hemd doch schon recht alt aussah. So alt wie er war. Dreiundsechzig. Tagsüber sah er manchmal jünger aus. Sie sieht doch schon alt aus, dachte er, im Hemd sieht sie doch ziemlich alt aus. Aber das liegt vielleicht an den Haaren. Bei den Frauen liegt das nachts immer an den Haaren. Die machen dann auf einmal so alt.
"Du hättest Schuhe anziehen sollen. So barfuß auf dem kalten Fliesen. Du erkältest dich noch."

Sie sah ihn nicht an, weil sie nicht ertragen konnte, dass er log. Dass er log, nachdem sie neununddreißig Jahre verheiratet waren.
"Ich dachte, hier wär was", sagte er noch einmal und sah wieder so sinnlos von einer Ecke in die andere, "ich hörte hier was. Da dachte ich, hier wär was."
"Ich hab auch was gehört. Aber es war wohl nichts." Sie stellte den Teller vom Tisch und schnippte die Krümel von der Decke. "Nein, es war wohl nichts", echote er unsicher. Sie kam ihm zu Hilfe: "Komm man. Das war wohl draußen. Komm man zu Bett. Du erkältest dich noch. Auf den kalten Fliesen."
Er sah zum Fenster hin. "Ja, das muss wohl draußen gewesen sein. Ich dachte, es wär hier." Sie hob die Hand zum Lichtschalter. Ich muss das Licht jetzt ausmachen, sonst muss ich nach dem Teller sehen, dachte sie. Ich darf doch nicht nach dem Teller sehen. "Komm man", sagte sie und machte das Licht aus," das war wohl draußen. Die Dachrinne schlägt immer bei Wind gegen die Wand. Es war sicher die Dachrinne. Bei Wind klappert sie immer."
Sie tappten beide über den dunklen Korridor zum Schlafzimmer. Ihre nackten Füße platschten auf den Fußboden.
"Wind ist ja", meinte er. "Wind war schon die ganze Nacht."
Als sie im Bett lagen, sagte sie: "Ja, Wind war schon die ganze Nacht. Es war wohl die Dachrinne." "
Ja, ich dachte, es wäre in der Küche. Es war wohl die Dachrinne." Er sagte das, als ob er schon halb im Schlaf wäre.
Aber sie merkte, wie unecht seine Stimme klang, wenn er log.
"Es ist kalt", sagte sie und gähnte leise, "ich krieche unter die Decke. Gute Nacht."
"Nacht", antwortete er und noch: "ja, kalt ist es schon ganz schön."
Dann war es still. Nach vielen Minuten hörte sie, dass er leise und vorsichtig kaute. Sie atmete absichtlich tief und regelmäßig, damit er nicht merken sollte, dass sie noch wach war. Aber sein Kauen war so regelmäßig, dass sie davon langsam einschlief.

Als er am nächsten Abend nach Hause kam, schob sie ihm vier Scheiben Brot hin. Sonst hatte er immer nur drei essen können.
"Du kannst ruhig vier essen", sagte sie und ging von der Lampe weg. "Ich kann dieses Brot nicht so recht vertragen. Iss du man eine mehr. Ich vertrag es nicht so gut."
Sie sah, wie er sich tief über den Teller beugte. Er sah nicht auf. In diesem Augenblick tat er ihr leid.
"Du kannst doch nicht nur zwei Scheiben essen", sagte er auf seinem Teller. "
Doch. Abends vertrag ich das Brot nicht gut. Iss man. Iss man."
Erst nach einer Weile setzte sie sich unter die Lampe an den Tisch.

Dienstag, 16. Juni 2009

Lust auf Jelinek??

Liebhaberinnen

Elfriede Jelinek ist mit dem Werk „Die Liebhaberinnen“ ein Meisterwerk gelungen. Dieses Buch ist geprägt von Kritik, das Aufzeigen von Lebenssituationen von Frauen die auf dem Land leben und den Stellenwert die diese jungen Frauen in der Gesellschaft haben. Sie sind reduziert auf Mutterschaft, sie sollen und müssen Männer beglücken. Ihre Arbeit wird schlechtbezahlt und ist monoton. „Frau-Sein“ mit seinen minderwertigen Attributen zeigt Jelinek auf.

Die Hauptfiguren sind Brigitte und Paula, beide stammen aus einfachen Verhältnissen. Die jungen Frauen arbeiten in einer Fabrik in der Steiermark. Brigitte schafft den sozialen Aufstieg indem sie einen Facharbeiter heiratet. Ihre Zukunft erscheint für sie als Hausfrau besser zu sein, als weiterhin in der Fabrik zu arbeiten. Die Verinnerlichung des Realitätsprinzips nimmt ihr alle Träume. Heinz ihr Ehemann befriedigt weder ihr Sexualverlangen, noch gibt er ihr das Gefühl eine liebenswerte Frau zu sein.

Paula verliebt sich in einen Waldarbeiter, durch seine schwere körperliche Tätigkeit und seinem Alkoholmissbrauch, richtet er sich selbst zu Grunde. Sein gutes Aussehen reicht ihr um ihn zu vergöttern. Nach ihrer Schwangerschaft beginnt sie sich heimlich zu prostituieren, ihr Mann entdeckt aber ihr Doppelleben und verlässt sie. Paula endet wieder als Näherin in der Fabrik.

Die Kritik der Autorin gilt einerseits der von Männern dominierten Gesellschaft, andererseits der Klassengesellschaft. Ihre kommunistische Gesinnung lässt sie gegen die Klassengesellschaft, welche in Österreich nach wie vor existiert, aufschreien. Die private Unterdrückung von Frauen ist in vielen ihrer Romane das Hauptthema. Männer stellt sie als brutale, charakterlich niedrige Individuen dar. Ihre Darstellerinnen wehren sich nicht, sie nehmen ihre Unterdrückung an, sie sehen sich als wehrlose Opfer. Sie halten sich an gesellschaftliche Regeln und orientieren sich nach ihren Müttern, die sich auch nie zur Wehr setzten.

Dessous sind für diese Fabriksarbeiterinnen Arbeit, die Liebe ist auch Arbeit für sie. Liebe, Ehe, Partnerschaft wird als Selbstzweck und nicht als Bereicherung gesehen. Prostitution ist eine Flucht aus der misslichen Lage, die Selbstbestrafung, die sie verdient hat. Selbstliebe ist in ihrem Sprachgebrauch nicht real. Wo Erotik sein könnte, wird Kleinbürgerlichkeit gelebt. Kein Aufatmen, kein Aufschrei, kein „Nein“ ist vernehmbar. Das Selbstvertrauen wird zunehmend genommen, sie sollen sich selbst nicht mehr trauen, sie sollen nur mehr anderen trauen.

Vogelfreie Frauen, die gegen Normen verstoßen werden verjagt, gejagt und sie haben keine Chancen mehr.

Brigitte setzt ihre Sexualität als Waffe ein, sie richtet sich mit dieser Waffe selbst. Der Geschlechtsakt wird als Fast-Vergewaltung aufgezeigt.

Frauen werden in ihrem eigenen Haus misshandelt, das Dorf schweigt. Schweigen des Frieden Willens. Dieses Schweigen lässt die Autorin aufschreien. Seht her! Seht nicht weg!

Hassgefühle werden zugelassen, hassende Ehemänner und Ehefrauen, die Hass und Obsession zu ihrem Lebensmaxime machen.

Liebe ist materialistisch, oberflächlich, gierig und egoistisch. Das Individuum ist nicht wichtig. Bedürfnisse, der Einzelnen werden nicht behandelt.

Sprache:

Die Schriftstellerin verwendet in diesem Werk die Umgangssprache. Sie ignoriert die Groß- und Kleinschreibung. Möglicherweise möchte sie ihre LeserInnen antreiben, ihre Texte genauer zu lesen, oder sie stellt sich gegen das Schreiben nach Regeln. Alle Wörter sind gleichberechtigt, kein Hauptwort steht über einem Zeitwort, einem Adjektiv oder Adverb. Beim Lesen entsteht eine gewollte Monotonie, damit zeigt sie das Alltagsleben dar, dieses „ewig Gleiche“, die Abwechslung fehlt. Lebensfreude, Lebensdrang, Lebenswille, Lebensdarstellung, Lebenshunger sind nicht existent. Worte, Gedanken, Handlungen werden wiederholt, sie sind Teil eines Lebens, Teil dieses Buches und unsere Empathie wird gefordert. Jelineks Worte sind listig, treffend und vernichtend.

Jelineks Schreibstil ist sarkastisch und chili-scharf. Die Ironie ist ihre weitere Begleiterin, und sie bewertet diese Fabriksarbeiterinnen aus einer kalten, weiten Distanz. Scheinbar spielt sie mit ihren Figuren, sie ist die Puppenmacherin, die Marionettenspielerin, sie herrscht über ihre Puppen, sie macht sie zu Puppen. Naive Frauen werden zu Puppen ihrer Männer. Sie wollen und können keine selbständigen, selbstdenkende und selbsthandelnde Menschen sein. Unglück wird angedeutet, bis es endlich eintrifft. Menschen sprechen miteinander ohne dass sie sich etwas sagen.

Der Rhytmus wird durch die ständigen Wiederholungen geprägt. Die Sprache ist derb, vereinfacht und passiv. Frauen werden geheiratet. Frauen sind Gebrauchsobjekte.

Erzählform:

Die Erzählerin ist eine Außenstehende, diese Frauen interessieren sie scheinbar nicht. Diese Distanz ist gewollt. Hochzeiten werden mit dem Tod gleichgestellt. Leinentücher werden zu Leichentüchern. Arbeit ist Krankheit, Liebe ist Hoffnungslosigkeit. Sie entlarvt sich als allwissende Erzählerin, Vorschau setzt Jelinek als Stilmittel ein.

Conclusio:

Jelinek schreibt über Alltagsgeschichten, für dieses Aufzeigen wird sie in manchen Kreisen gehasst. Fühlen sich diese Menschen von ihr ertappt? Ertragen sie nicht ihr Spiegelbild in einem Buch vorzufinden. Sind sie gegen Kleinbürgertum, da sie selbst kleinbürgerlich leben? Freude und schöne Worte sind nicht Spielobjekte dieser Schriftstellerin, sie zeigt auf, zeigt an und ihre Spiegelbilder sind treffend.

Donnerstag, 11. Juni 2009

Nadine Gordimer

sagte sinngemäß in einem Interview:

Ich bin keine Europäerin, ich bin aus Südafrika mit europäischen Wurzeln. Wenn ihr sagt, warum habt ihr keine funktionierenden Schulen, korrupte Regierungen und kein Dach über den Kopf, dann sage ich:

Afrika ist seit 15 Jahren eine Demokratie, ihr hattet 100 oder 200 Jahre Zeit für eure Demokratien.

Anne Frank wäre am 12. Juni 80 Jahre alt geworden

Hätte ich die Wahl nur ein Buch in meinem Leben zu lesen, dann würde ich das Tagebuch der Anne Frank wählen.

Samstag, 6. Juni 2009

Losing you - Nicci French

Nicci French ist keine italienisch-französische Schriftstellerin, sondern ein schreibendes Ehepaar. Ich bin nicht die besessene Krimileserin, kaufte aber einige englische Krimis und diese lese ich jetzt in den Öffis. Englisch lernen mit Krimilesen ist eine neue Lernerfahrung für mich.

Eine alleinerziehende Mutter möchte mit ihren beiden Kindern verreisen. An diesen Tag feiert sie ihren 40 Geburtstag und Nachbarn und ihre Kinder gaben für sie eine Überraschungsparty. Ihre Tochter übernachtete bei einer Freundin und kehrt nicht zurück. Ihre Mutter sucht sie und stößt auf ein Geheimnis ......

Dieser Krimi gefiel mir nicht so gut, wie andere Bücher, die das Ehepaar schrieb.

LYou

Dienstag, 2. Juni 2009

Heimat - Max Frisch Fragebogen

Hat Heimat für Sie eine Flagge?


Worauf könnten Sie eher verzichten:

a. auf Heimat?
b. auf Vaterland?
c. auf die Fremde?

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ich wünsche dir schöne weihnachtsfeiertage! lass...
SehnsuchtistmeineFarbe - 21. Dez, 01:41
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würde das gern mal bei meinem nachsehen. wo sieht man...
SehnsuchtistmeineFarbe - 14. Okt, 22:45
Hier der Kern des moralisierenden...
Verrat ist eine Frage des Zeitpunkts. Als ich in den...
gitano - 14. Okt, 22:33
Und so weiter mit der...
In einer Motivgeschichte des Bauern, der im Königspalast...
gitano - 14. Okt, 22:23

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