Freitag, 19. Juni 2009

Wolfgang Borchert: Nachts schlafen die Ratten doch

Das hohle Fenster in der vereinsamten Mauer gähnte blaurot voll früher Abendsonne. Staubgewölke flimmerte zwischen den steilgereckten Schornsteinresten. Die Schuttwüste döste.

Er hatte die Augen zu. Mit einmal wurde es noch dunkler. Er merkte, dass jemand gekommen war und nun vor ihm stand, dunkel, leise. Jetzt haben sie mich! dachte er. Aber als er ein bisschen blinzelte, sah er nur zwei etwas ärmlich behoste Beine. Die standen ziemlich krumm vor ihm, dass er zwischen ihnen hindurchsehen konnte. Er riskierte ein kleines Geblinzel an den Hosenbeinen hoch und erkannte einen älteren Mann. Der hatte ein Messer und einen Korb in der Hand. Und etwas Erde an den Fingerspitzen.
Du schläfst hier wohl was? fragte der Mann und sah von oben auf das Haargestrüpp herunter. Jürgen blinzelte zwischen den Beinen des Mannes hindurch in die Sonne und sagte: Nein, ich schlafe nicht. Ich muss hier aufpassen. Der Mann nickte: So, dafür hast du wohl den großen Stock da?
Ja, antwortete Jürgen mutig und hielt den Stock fest.
Worauf passt du denn auf?
Das kann ich nicht sagen. Er hielt die Hände fest um den Stock. Wohl auf Geld, was? Der Mann setzte den Korb ab und wischte das Messer an seinem Hosenboden hin und her. Nein, auf Geld überhaupt nicht, sagte Jürgen verächtlich. Auf ganz etwas anderes.
Na, was denn?
Ich kann es nicht sagen. Was anderes eben.
Na, denn nicht. Dann sage ich dir natürlich auch nicht, was ich hier im Korb habe. Der Mann stieß mit dem Fuß an den Korb und klappte das Messer zu.
Pah, kann ich mir denken, was in dem Korb ist, meinte Jürgen geringschätzig, Kaninchenfutter.
Donnerwetter, ja! sagte der Mann verwundert, bist ja ein fixer Kerl. Wie alt bist du denn?
Neun.
Oha, denk mal an, neun also. Dann weißt du ja auch, wieviel drei mal neun sind, wie?
Klar, sagte Jürgen und um Zeit zu gewinnen, sagte er noch: Das ist ja ganz leicht. Und er sah durch die Beine des Mannes hindurch. Dreimal neun, nicht? fragte er noch mal, siebenundzwanzig, Das wusste ich gleich.
Stimmt, sagte der Mann, genau soviel Kaninchen habe ich.
Jürgen machte einen runden Mund: Siebenundzwanzig?
Du kannst sie sehen. Viele sind noch ganz jung. Willst du?
Ich kann doch nicht. Ich muss doch aufpassen, sagte Jürgen unsicher.
Immerzu? fragte der Mann, nachts auch?
Nachts auch. Immerzu. Immer. Jürgen sah an den krummen Beinen hoch. Seit Sonnabend schon, flüsterte er.
Aber gehst du denn gar nicht nach Hause? Du musst doch essen.
Jürgen hob einen Stein hoch. Da lag ein halbes Brot. Und eine Blechschachtel.
Du rauchst? fragte der Mann, hast du denn eine Pfeife?
Jürgen faßte seinen Stock fest an und sagte zaghaft: ich drehe. Pfeife mag ich nicht.
Schade, der Mann bückte sich zu seinem Korb, die Kaninchen hättest du ruhig mal ansehen können. Vor allem die jungen. Vielleicht hättest du dir eines ausgesucht. Aber du kannst hier ja nicht weg.
Nein, sagte Jürgen traurig, nein nein.
Der Mann nahm den Korb und richtete sich auf. Na ja, wenn du hierbleiben musst - schade. Und er drehte sich um. Wenn du mich nicht verrätst, sagte Jürgen da schnell, es ist wegen den Ratten.
Die krummen Beine kamen einen Schritt zurück: Wegen den Ratten?
Ja, die essen doch von Toten. Von Menschen. Da leben sie doch von.
Wer sagt das?
Unser Lehrer.
Und du passt nun auf die Ratten auf? fragte der Mann.
Auf die doch nicht! Und dann sagte er ganz leise: Mein Bruder, der liegt nämlich da unten. Da. Jürgen zeigte mit dem Stock auf die zusammengesackten Mauern. Unser Haus kriegte eine Bombe. Mit einmal war das Licht weg im Keller. Und er auch. Wir haben noch gerufen. Er war viel kleiner als ich. Erst vier. Er muss hier ja noch sein. Er ist doch viel kleiner als ich.
Der Mann sah von oben auf das Haargestrüpp. Aber dann sagte er plötzlich: Ja, hat euer Lehrer euch denn nicht gesagt, dass die Ratten nachts schlafen?
Nein, flüsterte Jürgen und sah mit einmal ganz müde aus, das hat er nicht gesagt.
Na, sagte der Mann, das ist aber ein Lehrer, wenn er das nicht mal weiß. Nachts schlafen die Ratten doch. Nachts kannst du ruhig nach Hause gehen. Nachts schlafen sie immer. Wenn es dunkel wird, schon.
Jürgen machte mit seinem Stock kleine Kuhlen in den Schutt. Lauter kleine Betten sind das, dachte er, alles kleine Betten. Da sagte der Mann (und seine krummen Beine waren ganz unruhig dabei): Weißt du was? Jetzt füttere ich schnell meine Kaninchen und wenn es dunkel wird, hole ich dich ab. Vielleicht kann ich eins mitbringen. Ein kleines oder, was meinst du?
Jürgen machte kleine Kuhlen in den Schutt. Lauter kleine Kaninchen. Weiße, graue, weißgraue. Ich weiß nicht, sagte er leise und sah auf die krummen Beine, wenn sie wirklich nachts schlafen.
Der Mann stieg über die Mauerreste weg auf die Straße. Natürlich, sagte er von da, euer Lehrer soll einpacken, wenn er das nicht mal weiß.
Da stand Jürgen auf und fragte: Wenn ich eins kriegen kann?
Ein weißes vielleicht?
Ich will mal versuchen, rief der Mann schon im Weggehen, aber du musst hier solange warten. Ich gehe dann mit dir nach Hause, weißt du? Ich muss deinem Vater doch sagen, wie so ein Kaninchenstall gebaut wird. Denn das müsst ihr ja wissen.
Ja, rief Jürgen, ich warte. Ich muss ja noch aufpassen, bis es dunkel wird. Ich warte bestimmt. Und er rief: Wir haben auch noch Bretter zu Hause. Kistenbretter, rief er.

Aber das hörte der Mann schon nicht mehr. Er lief mit seinen krummen Beinen auf die Sonne zu. Die war schon rot vom Abend und Jürgen konnte sehen, wie sie durch die Beine hindurchschien, so krumm waren sie. Und der Korb schwenkte aufgeregt hin und her. Kaninchenfutter war da drin. Grünes Kaninchenfutter, das war etwas grau vom Schutt.

Aelteres Semester - Fragebogen

Seht ihr gerne in das SCHWARZE der Menschen??

Lichterkette gegen Graf

Zwei Studentinnen starteten auf Facebook eine Initiative für mehr Respekt, Menschenwürde und Zivilcourage - Am 18. Juni wollen sie mit einer Lichterkette rund ums Parlament ein Zeichen des anderen Österreichs zeigen

Den Wiener Studentinnen Romy Grasgruber und Maria Sofaly reicht es. Sie wollen ein Zeichen setzen gegen tätliche Angriffe auf Opfer des Nationalsozialismus, rechtsextreme Burschenschafter auf hohen Positionen und einen Wahlkampf mit "Hetzplakaten". Gemeinsam mit Freiwilligen, die sich nach ihrem Aufruf über das Internet gefunden haben, organisieren die Studentinnen der internationalen Entwicklung für den 18. Juni eine Lichterkette um das Parlament, die ein Zeichen dafür sein soll, dass "Menschenverachtung und Diskriminierung nicht normal" sind. Mittlerweile sind mehr als 8600 Facebook-NutzerInnen ihrer Gruppe beigetreten, auch in Graz wird es zeitgleich eine Lichterkette geben. derStandard.at sprach mit Ihnen am Rande der Vorbereitungen.

Lichterkette 2009

Am 18. Juni findet ab 19 Uhr eine Kundgebung mit Redebeiträge und Musikauftritten statt. Reden werden dabei u.a. Robert Menasse, Marlene Streeruwitz wird einen Text für den Abend verfassen. Ab 21 Uhr werden Fackeln verteilt und eine Kette rund ums Parlament gebildet. Aufmerksamkeit hat der Aufruf der zwei Studentinnen Romy Grasgruber und Maria Sofaly auf der Internet-Plattform Facebook erhalten. Nähere Informationen unter:

http://www.lichterkette2009.at/
http://www.facebook.at/group.php?gid=81733713338

Flyer, Plakate, Infrastruktur: Kostet alles Geld :(
Daher haben wir gestern ein Konto eingerichtet. Falls jemand was beitragen will, würd uns das sehr helfen.
BAWAG PSK: BLZ: 60000
Kontonummer: 10110065693.

Lust auf Jelinek??

Liebhaberinnen

Elfriede Jelinek ist mit dem Werk „Die Liebhaberinnen“ ein Meisterwerk gelungen. Dieses Buch ist geprägt von Kritik, das Aufzeigen von Lebenssituationen von Frauen die auf dem Land leben und den Stellenwert die diese jungen Frauen in der Gesellschaft haben. Sie sind reduziert auf Mutterschaft, sie sollen und müssen Männer beglücken. Ihre Arbeit wird schlechtbezahlt und ist monoton. „Frau-Sein“ mit seinen minderwertigen Attributen zeigt Jelinek auf.

Die Hauptfiguren sind Brigitte und Paula, beide stammen aus einfachen Verhältnissen. Die jungen Frauen arbeiten in einer Fabrik in der Steiermark. Brigitte schafft den sozialen Aufstieg indem sie einen Facharbeiter heiratet. Ihre Zukunft erscheint für sie als Hausfrau besser zu sein, als weiterhin in der Fabrik zu arbeiten. Die Verinnerlichung des Realitätsprinzips nimmt ihr alle Träume. Heinz ihr Ehemann befriedigt weder ihr Sexualverlangen, noch gibt er ihr das Gefühl eine liebenswerte Frau zu sein.

Paula verliebt sich in einen Waldarbeiter, durch seine schwere körperliche Tätigkeit und seinem Alkoholmissbrauch, richtet er sich selbst zu Grunde. Sein gutes Aussehen reicht ihr um ihn zu vergöttern. Nach ihrer Schwangerschaft beginnt sie sich heimlich zu prostituieren, ihr Mann entdeckt aber ihr Doppelleben und verlässt sie. Paula endet wieder als Näherin in der Fabrik.

Die Kritik der Autorin gilt einerseits der von Männern dominierten Gesellschaft, andererseits der Klassengesellschaft. Ihre kommunistische Gesinnung lässt sie gegen die Klassengesellschaft, welche in Österreich nach wie vor existiert, aufschreien. Die private Unterdrückung von Frauen ist in vielen ihrer Romane das Hauptthema. Männer stellt sie als brutale, charakterlich niedrige Individuen dar. Ihre Darstellerinnen wehren sich nicht, sie nehmen ihre Unterdrückung an, sie sehen sich als wehrlose Opfer. Sie halten sich an gesellschaftliche Regeln und orientieren sich nach ihren Müttern, die sich auch nie zur Wehr setzten.

Dessous sind für diese Fabriksarbeiterinnen Arbeit, die Liebe ist auch Arbeit für sie. Liebe, Ehe, Partnerschaft wird als Selbstzweck und nicht als Bereicherung gesehen. Prostitution ist eine Flucht aus der misslichen Lage, die Selbstbestrafung, die sie verdient hat. Selbstliebe ist in ihrem Sprachgebrauch nicht real. Wo Erotik sein könnte, wird Kleinbürgerlichkeit gelebt. Kein Aufatmen, kein Aufschrei, kein „Nein“ ist vernehmbar. Das Selbstvertrauen wird zunehmend genommen, sie sollen sich selbst nicht mehr trauen, sie sollen nur mehr anderen trauen.

Vogelfreie Frauen, die gegen Normen verstoßen werden verjagt, gejagt und sie haben keine Chancen mehr.

Brigitte setzt ihre Sexualität als Waffe ein, sie richtet sich mit dieser Waffe selbst. Der Geschlechtsakt wird als Fast-Vergewaltung aufgezeigt.

Frauen werden in ihrem eigenen Haus misshandelt, das Dorf schweigt. Schweigen des Frieden Willens. Dieses Schweigen lässt die Autorin aufschreien. Seht her! Seht nicht weg!

Hassgefühle werden zugelassen, hassende Ehemänner und Ehefrauen, die Hass und Obsession zu ihrem Lebensmaxime machen.

Liebe ist materialistisch, oberflächlich, gierig und egoistisch. Das Individuum ist nicht wichtig. Bedürfnisse, der Einzelnen werden nicht behandelt.

Sprache:

Die Schriftstellerin verwendet in diesem Werk die Umgangssprache. Sie ignoriert die Groß- und Kleinschreibung. Möglicherweise möchte sie ihre LeserInnen antreiben, ihre Texte genauer zu lesen, oder sie stellt sich gegen das Schreiben nach Regeln. Alle Wörter sind gleichberechtigt, kein Hauptwort steht über einem Zeitwort, einem Adjektiv oder Adverb. Beim Lesen entsteht eine gewollte Monotonie, damit zeigt sie das Alltagsleben dar, dieses „ewig Gleiche“, die Abwechslung fehlt. Lebensfreude, Lebensdrang, Lebenswille, Lebensdarstellung, Lebenshunger sind nicht existent. Worte, Gedanken, Handlungen werden wiederholt, sie sind Teil eines Lebens, Teil dieses Buches und unsere Empathie wird gefordert. Jelineks Worte sind listig, treffend und vernichtend.

Jelineks Schreibstil ist sarkastisch und chili-scharf. Die Ironie ist ihre weitere Begleiterin, und sie bewertet diese Fabriksarbeiterinnen aus einer kalten, weiten Distanz. Scheinbar spielt sie mit ihren Figuren, sie ist die Puppenmacherin, die Marionettenspielerin, sie herrscht über ihre Puppen, sie macht sie zu Puppen. Naive Frauen werden zu Puppen ihrer Männer. Sie wollen und können keine selbständigen, selbstdenkende und selbsthandelnde Menschen sein. Unglück wird angedeutet, bis es endlich eintrifft. Menschen sprechen miteinander ohne dass sie sich etwas sagen.

Der Rhytmus wird durch die ständigen Wiederholungen geprägt. Die Sprache ist derb, vereinfacht und passiv. Frauen werden geheiratet. Frauen sind Gebrauchsobjekte.

Erzählform:

Die Erzählerin ist eine Außenstehende, diese Frauen interessieren sie scheinbar nicht. Diese Distanz ist gewollt. Hochzeiten werden mit dem Tod gleichgestellt. Leinentücher werden zu Leichentüchern. Arbeit ist Krankheit, Liebe ist Hoffnungslosigkeit. Sie entlarvt sich als allwissende Erzählerin, Vorschau setzt Jelinek als Stilmittel ein.

Conclusio:

Jelinek schreibt über Alltagsgeschichten, für dieses Aufzeigen wird sie in manchen Kreisen gehasst. Fühlen sich diese Menschen von ihr ertappt? Ertragen sie nicht ihr Spiegelbild in einem Buch vorzufinden. Sind sie gegen Kleinbürgertum, da sie selbst kleinbürgerlich leben? Freude und schöne Worte sind nicht Spielobjekte dieser Schriftstellerin, sie zeigt auf, zeigt an und ihre Spiegelbilder sind treffend.

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