Donnerstag, 16. April 2009

Brave Familienväter können Kriegsverbrecher werden

Es braucht nicht viel, um aus braven Familienvätern und aufrechten Soldaten Bestien zu machen, denen ihr mörderisches Tun noch nicht einmal ein schlechtes Gewissen bereitet, meint der deutsche Sozialpsychologe Harald Welzer. Zwischen zwei Menschengruppen müsse nur eine radikale Trennung konstruiert werden, schon fallen die moralischen Schranken. Sind die anderen keine Menschen mehr, fällt die Vernichtung leichter, eine angebliche Bedrohungssituation liefert die Rechtfertigung.

"Immer gibt es eine genügende Anzahl von Menschen, die sich für das Töten entscheiden", lautet Welzers Befund. Und die hätten auch wenig Probleme, ihre Taten in ein ganz normales Leben zu integrieren. "Ich bin nicht der Unmensch, zu dem man mich macht. Ich bin das Opfer eines Fehlschlusses", hat Adolf Eichmann gesagt.

Trennte man "Arier" und "Juden", war der Weg freigemacht
Das klassische, erschreckendste Beispiel war die Unterscheidung in "Arier" auf der einen Seite und "Juden" auf der anderen. Der von den Nazis betriebene industrielle Massenmord an sechs Millionen Menschen nimmt den Hauptteil der Betrachtungen in seinem Buch ein, die Welzer mit kurzen Kapiteln über Vietnam, Ruanda und Jugoslawien ergänzt. "1933 hätten die Menschen in Berlin eine Deportation nicht akzeptiert, weil es maximal von dem abweicht, was erwartbar gewesen wäre", sagt Welzer. "1941 sehen die gleichen Menschen das als völlig normal an - und halten sich dabei selbst für genauso gute Menschen wie 1933."

Für die Schergen werde das Morden schnell zu einer "Arbeit" wie jede andere auch, sagt der Psychologe. Eine individuelle Verantwortlichkeit sähen sie bei sich nicht, selbst den häufig bemühten Befehlsnotstand habe es im "Dritten Reich" nicht gegeben. "In Situationen, die zu hoher Verunsicherung führen, orientieren sich alle am nächsten. Deshalb schaut auch jeder weg." Psychologische Auffälligkeiten finden sich bei den Ausführenden so wenig wie bei der Führungs-Clique der Nazis: Das Böse ist banal und steckt in uns allen.

"In Srebrenica hielten viele Morden für 'soldatische Pflicht'"
"Viele haben sich in Srebrenica etwas zurechtgelegt wie 'das war meine soldatische Pflicht' und 'ich muss meine Befehle umsetzen'", meint die Münchner Historikerin Marie-Janine Calic. "Bei einigen kam das Gefühl hinzu, dass man die, die dort erschossen werden sollen, gar nicht als eine Art 'Untermenschen' betrachtet hat." Propaganda habe das multiethnische Zusammenleben zerstört und den Boden für spätere Kriegsverbrechen bereitet. "Prävention heißt, Vorurteile abzubauen, die Vergangenenheit aufzuarbeiten und soziale Sicherheit zu gewähren."

Das Massaker von Srebrenica ist das schwerste Kriegsverbrechen in Europa seit dem Zweiten Weltkrieg. Am 11. Juli 1995 eroberten bosnisch-serbische Truppen die von Muslimen bewohnte Stadt, obwohl sie UN-Schutzzone war. Kampflos überließ ein kleines Kontingent niederländischer Blauhelme den 2000 gut ausgerüsteten Angreifern unter General Ratko Mladic die Stadt. 8000 überwiegend männliche Muslime wurden abgeführt, die meisten erschossen und in Massengräbern verscharrt. Frauen und Kinder wurden deportiert.

Der im Juli an das UN-Kriegsverbrechertribunal in Den Haag überstellte frühere politische Führer der bosnischen Serben, Radovan Karadzic, gilt neben Mladic als Hauptverantwortlicher für die blutigste Gräueltat im Bosnien-Krieg. Das UN-Kriegsverbrechertribunal in Den Haag und der Internationale Gerichtshof haben das Massaker in Srebrenica als Völkermord eingestuft. Es gibt bislang aber erst ein rechtskräftiges Urteil wegen Beihilfe zum Völkermord: Radislav Krstic, ehemaliger Kommandeur des Drina-Korps, das maßgeblich an der Eroberung der Stadt beteiligt war, wurde in Den Haag zu 35 Jahren Haft verurteilt.

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